Diensthunde und Schutzhundesport
Kennt Ihr das?
Das allgemeine Lamentieren, dass „Der Deutsche Schäferhund“ sich nicht mehr zum Diensthund* eigne? „Der Belgische Schäferhund/Malinois“ viel eher?
Ich gebe zu: ich bin bekennender DSH-Fan. Mir gefielen die Kerle schon immer; sowohl vom Aussehen als auch von der Wesensart. Der „alte DSH“ ist oder war, bei aller Arbeitsfreude, ein ruhiger und gelassener Begleiter im Alltag. Wachsam, ohne paranoid oder Kläffer zu sein. Im Vergleich zum Malinois, diesem aufgekratzten Extrem-Schnelllerner, ist er dickflüssiger, langsamer, stabiler, sturer und deutlich weniger beeindruckbar—im Guten wie im Schlechten.
Aber, ich muss zugeben: da ist schon was dran, an der heutigen „mangelnden Diensthund-Eignung“ des Deutschen.
(Hätte ich nicht in einem wunderbar lichten Moment eine meiner Reißbrett-Entscheidungen getroffen, wüsste ich nicht, wie viel die Diensthundeeignung der DSH tatsächlich mit Hundesport zu tun hat. Mehr dazu später.)
Im Ausland beneidete man uns lange um unsere gute Infrastruktur in Sachen Gebrauchshund. Als Mutterland des SchH-Sports gab es allenthalben landauf, landab Hundesportvereine.
Natürlich war keine andere Hunderasse dort so häufig vertreten wie der DSH, der allein an offiziellen Welpenzahlen alle anderen Gebrauchshunderassen weit hinter sich ließ.
Diese althergebrachte und flächendeckende Begeisterung hatte aber auch Nachteile: andere, modernere Schutzhunde-Sportarten bekamen bei uns kein Bein auf die Erde. Das hatte zum Einen historisch-vereinspolitische Gründe: der im VDH übermächtige SV, seit Jahrzehnten von seiner Schönheitslobby regiert, konnte sich schon mit seiner eigenen Leistungssparte nur mit Mühe abfinden und wollte sich auf diesem Feld nicht auch noch die Konkurrenz ins Haus holen.
Auch die Abspaltung des rein dem Leistungsgedanken verpflichteten RSV2000 e.V. vom alten SV änderte daran nichts: auch in der Welt der Protagonisten des RSV existiert als „Leistung“ nur der traditionelle Schutzhundesport alter deutscher Prägung.
Die einzig zuchtlenkende Maßnahme bei den Leistungshunden unter den Deutschen war also das möglichst ordentliche Bestehen der SchH, später VGP, IPO und nun IGP. Andere Kriterien gab es nicht.
Warum aber scheint das, was jahrzehntelang offensichtlich gute Dienste als Auslesekriterium getan hatte, plötzlich nicht mehr tauglich zur Selektion genetisch leistungsbereiter, mental starker (Dienst-)Hunde?
Wir gehen mal—sagen wir: 20, 30 oder gar 40 Jahre zurück, und schauen uns den deutschen SchH-Sport der damaligen Zeit an. Ich bin alt genug, um das aus eigener Erinnerung zu kennen: den Jüngeren unter uns mag YouTube zu Hilfe kommen. Das, was früher viele „AAAHs“ und „OOOHs“ auf der Bundessiegerprüfung hervorgerufen hat, würde heute nur mit Mühe für das Bestehen einer Ortsgruppenprüfung ausreichen.
Woran liegt das? Sind die Hunde heute besser? Oder waren sie es früher? Oder war die Ausbildung schlechter? Anders?
Von allem ein bisschen. Vor allem aber kann man an der Entwicklung des DSH gut verfolgen, wie die Zucht, diese kleine, schnelle Schwester der Evolution, in atemberaubendem Tempo eine Hundepopulation nicht nur im Aussehen, sondern vor allem mental radikal verändert.
Ich erwähnte schon, dass der größte zuchtbuchführende Verein innerhalb des VDH, der SV, seit der Ära der Gebrüder Herrmann und Walter Martin, Anfang der ‘80er Jahre des 20. Jahrhunderts, praktisch sein komplettes Augenmerk auf die Produktion und Vermarktung der sogenannten „Hochzuchtpopulation“ des DSH gerichtet hatte.
Zudem, und das soll auch nicht verschwiegen werden, hatte an den alten Ausbildungsmethoden (ja, ich kenne die noch) wirklich nur einer Freude, und das war nicht der Hund.
Junge Hundesportler suchten nach neuen, moderneren, tierfreundlicheren Ausbildungsmethoden, und das war zu den damaligen Zeiten wahrlich nicht einfach. Da musste man schon einiges an Häme und Anfeindungen der „Alten Garde“ wegstecken.
Auf Dauer lässt sich das Neue jedoch nicht aufhalten.
Diese beiden Entwicklungen liefen also parallel: die Ausbildung wurde nach und nach „feiner“, filigraner, und beim Großteil der Hunde auf den Hundeplätzen (damals fast ausschließlich DSH) gingen, durch die züchterische Ausrichtung auf rein optische Merkmale, viele der Gebrauchseigenschaften zurück.
Es ist nur logisch konsequent, die bestehende Prüfungsdordnung Schritt für Schritt immer weiter an die sich (glücklicherweise!) verändernden Arbeitsmethoden der Sportler einerseits sowie an die die physisch wie psychisch geringere Leistungsfähigkeit der Hunde andererseits anzupassen.
Die heutige IGP-Prüfungsordnung, die nurmehr einen Bruchteil von dem verlangt, was vor 30 Jahren Standard war, sowie eine scharfe Richtweise auf immer roboterhafteres Vorführen von Hund und Hundeführer produziert: einen sensiblen, leichtführigen, dünnhäutigen, aufgedrehten und mental unselbständigen Hund. Und da auch die Leistungsfraktion nicht an die Rasse als Ganzes, sondern vor allem an die gute Verkäuflichkeit ihres aktuellen Wurfes denkt, rennen alle zu „dem“ Rüden, der bei der letzten Bundessiegerprüfung ganz oben gelaufen ist, der also die genannten Eigenschaften in ganz besonders hohem Maße besitzt—und wohl auch vererbt.
So wurde innerhalb erstaunlich weniger Jahre aus einem ziemlich ausgeglichenen Allrounder Schäferhund ein glänzender Hochleistungs-Ferrari, dessen robuste Alltagstauglichkeit und „dicken Nerven“ auf dem Altar der IGP-sportlichen Erfolge geopfert wurde.
Nach und nach eroberten immer mehr Malinois die Herzen der deutschen Hundesportler. Noch schneller, noch früher, noch höher, noch lauter… Die kleinen, wendigen Belgier liessen ihre Deutschen Vettern regelrecht schwerfällig und abgehängt aussehen.
Bei der nach und nach immer stärker einsickernden Population von Malinois auf deutschen Hundeplätzen (und in deutsche Diensthundeführer-Hände) gab es zwei wesentliche Unterschiede zur Population des DSH:
Zum einen gab es in den Haupt-Zuchtländern der Rasse nicht das hermetisch geschlossene Zuchtbuch als heiliges Nonplusultra der Gebrauchshundezucht. Auch Einkreuzungen anderer geeigneter Gebrauchshunderassen sah und sieht man dort auch heute noch wesentlich entspannter als hier in Deutschland: sehr zum Wohle der Hunde, wie auch weltweit anerkannte Genetiker nicht müde werden zu betonen.
Zum anderen gab es in den Benelux-Ländern und in Frankreich schon von jeher ganz andere Prüfungen zur Zuchtlenkung: es gab die Prüfungen des belgischen und Französischen Ringsports und des holländischen KNPV. Diesen Sportarten liegen sämtlich Programme zugrunde, die, neben einer bemerkenswerten Physis, vor allen ein Höchstmaß an mentaler Stärke, psychischer Belastbarkeit und nicht zuletzt auch an selbständigem Denken, Intelligenz und Ausdauer erfordern. An diese Vorgaben angepasst, entwickelte sich dort eine sehr, sehr gut arbeits- und dienstgeeignete Population von mittelgroßen, starken und wendigen Gebrauchshunden.
In den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gelang es einer paneuropäischen Gruppe von Enthusiasten, aus Elementen der bereits bestehenden Ringsportprogramme den Mondioringsport zu entwickeln, der sich nach und nach in vielen Ländern Europas etablierte.
Im Unterschied zu den klassischen Ringsportarten aus Frankreich und Belgien wird im Mondioring ganz besonderer Wert gelegt auf Gelassenheit allen nur denkbaren Umweltreizen gegenüber, was dessen Beliebtheit natürlich schnell steigerte. Während beim IGP Intelligenz und schnelle Entscheidungsfreude des Hundes hinderlich sind, beim Ringsport—und hier besonders beim Mondioring—sind sie essentiell.
Ausblick: der Retro-DSH?
Um es gleich vorweg zu sagen: nein, ich glaube nicht, dass die Entwicklung des DSH aus deutscher Zucht vom robusten Arbeiter zum empfindsamen Hochleistungs-Sportgerät umkehrbar ist.
Warum?
Es bräuchte für den „Retro-Schäfer“ eine viel größere Interessenten- und Käufergruppe, ganz einfach. Hunde werden produziert, um verkauft zu werden; und was der Markt nicht nachfragt, wird der Züchter nicht produzieren. Vielleicht wird der kleine Siegeszug des Mondioring-Sports den Blick der Züchter auf mentale Qualitäten etwas erweitern. Es wäre dem DSH zu wünschen.
Meine Reißbrett-Entscheidung für einen neuen Diensthund.
Ja, es sollte am liebsten wieder ein Schäferhund sein. Er sollte ein durchsetzungsstarker, sturer, ausdauernder Spürer werden—und in seiner Freizeit unser Kumpel und Sportskollege. Rüde oder Hündin war mir egal, Farbe und Fell auch. Gern Langhaar, nicht so gern schwarz-gelb.
Und es sollte kein IGP-Hund sein.
Ich wollte nichts Aufgedrehtes, Beute-geieriges, was beim Anblick von Ball, Beißwurst oder Helfer kreischend in der Leine hängt und unfähig ist, einen klaren Gedanken zu fassen.
Ich wollte einen Hund, der selbständig denken und Entscheidungen fällen kann—und so suchte ich nach der Sportart, in der genau diese Eigenschaften zum maximalen Erfolg beitragen, in deren Zuchtlinien diese Eigenschaften also sehr gut genetisch gefestigt sein dürften.
So bin ich beim Französischen Ring gelandet, und bei einem Züchter, der mir aus einer Vier-Generationen-IPO-freien Verpaarung einen Hund anvertraut hat. (Schwarzgelb, Rüde, Stockhaar).
Seitdem weiß ich: nie wieder einen Hund aus IPO-Linien.
Und Mondioring machen wir auch.
*) mit „Diensthunden“ sind hier in erster Linie Diensthunde für die Verwendung im Bewachungsgewerbe gemeint.
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